Die Kreisverwaltung Marburg-Biedenkopf startete im Jahre 2000 mit den ersten Aktivitäten im Bereich Erneuerbare Energien. Die zwingend notwendige Energiewende bringt zahlreiche Neuerungen und Veränderungen mit sich, die auch am Landkreis Marburg-Biedenkopf nicht vorübergehen. Hier möchte der Landkreis die Akteure praxisnah beraten und begleiten und insbesondere auch über die Nutzung von nachwachsenden Energieträgern informieren.
In Zusammenarbeit mit einigen externen Akteuren aus dem Bereich Landwirtschaft wurden erste Aktivitäten zum Einsatz von Erneuerbaren Energien aus der Landwirtschaft gestartet. Die Bereitstellung regionaler Energierohstoffe als zusätzliche Einkommensmöglichkeit für Landwirte und die Stärkung der regionalen Wertschöpfung waren neben den Klimaschutzeffekten wichtige Ziele. Beispielsweise standen Themen wie kaltgepresstes Rapsöl, die Getreideverbrennung, die energetische Nutzung von Holz in Form von Pellets und Hackschnitzeln sowie die ersten Photovoltaik- Anlagen im Fokus. Diese und weitere interessante Themen wurden auf Informations- und Fortbildungsveranstaltungen den Landwirten und Bürgern in Landkreis nahegebracht und es wurden auch erste Erneuerbare- Energien-Anlagen installiert. In enger Zusammenarbeit mit den vielen aktiven landwirtschaftlichen Vereinen im Landkreis konnten gerade Landwirte für die Chancen der Erneuerbaren Energien begeistert werden, die eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle bilden.
Nach dieser erfolgreichen Startphase bildete das erste Energieforum im Landkreis im November 2005 einen weiteren Meilenstein. Die Fachvorträge, Fachausstellungen und auch praktische Vorführungen von Erneuerbare- Energien-Anlagen haben mehr als 500 Besucher*innen aus dem Landkreis genutzt und damit gezeigt, welches Interesse an diesem Thema besteht. Aufgrund des großen Interesses entwickelte sich das Energieforum zu einer jährlichen Energiemesse rund um das Kreishaus mit mehreren tausend Besuchern. Das bewährte Prinzip von Fachvorträgen, Fachausstellung und praktischen Vorführungen fand großen Zuspruch ebenso wie eine zusätzliche Schwerpunktsetzung auf Themen wie Solar, Holz, Biogas und Nahwärme. Bis zum Jahre 2013 wurden insgesamt 9 Energiemessen durchgeführt und mit dem ergänzenden Beratungsangebot wurde der Grundstein für die vielfältige Nutzung (speziell bei Landwirten) der Erneuerbaren Energien im Landkreis geschaffen.
Durch Exkursionen wurden auch neue Themenfelder in den Landkreis gebracht. So starteten die ersten Aktivitäten von Bionahwärmenetzen aufgrund von Exkursionen zu anderen Bioenergiedörfern. Auch die Nutzung der Abwärme von Biogas-BHKWs für lokale Nahwärmenetze wurde von einer Exkursion mitgebracht. Daher waren die vom Landkreis organisierten Exkursionen, Fach- und Infoveranstaltungen auch ein wichtiger Bestandteil für die Weiterentwicklung der Erneuerbaren Energien.
Neben den klassischen Formen der Bioenergienutzung entwickelte sich ab dem Jahre 2008 auch die Pelletierung von landwirtschaftlichen Roh- und Reststoffen zu einem sehr erfolgreichen Thema. Praktische Vorführungen der Herstellung von Heu-und Strohpellets sowie die Präsentation von innovativen thermischen Nutzungsmöglichkeiten fanden beim Energieforum 2009 großen Anklang. In den Folgejahren gab es mehrere praxisorientierte Info- und Vorführveranstaltungen und auch eine Dauerausstellung, auf der diese Technik einem größeren Publikum eindrucksvoll präsentiert werden konnte. Ausgehend von diesen Aktivitäten wurden weitere energetische und auch stoffliche Anwendungsgebiete erschlossen und mehrere konkrete Umsetzungsprojekte mit Modellcharakter realisiert. Bisher nur teilweise bzw. ungenutzte landwirtschaftliche Reststoffe – wie z.B. Getreidestroh oder Rapsstroh – sollen durch die Pelletierung zu „Nachhaltigen Wertstoffen der Zukunft“ gemacht werden. Insbesondere Stroh wird durch die ständig rückläufige Zahl der Tierhaltungen nicht mehr in vollem Umfang benötigt. Die Energiemenge, die man aus dem Getreidestroh von einem Hektar gewinnen kann, entspricht etwa 2.300 Litern Heizöl. Die energetische Bewertung von einem Hektar Rapsstroh entspricht einem Heizwert von ca. 1.400 Liter Heizöl. Voraussetzung für die energetische Nutzung von Biomasse ist die „Fließbarmachung“ der Biomasse durch die Pelletierung. So werden aus großen runden Strohballen mittels stationärer oder mobiler Pelltieranlagen kleine Pellets zur energetischen Nutzung hergestellt.
Im Landkreis sind derzeit knapp 100 brennstoffvariable Kesselanlagen im Einsatz. Mit diesen Heizanlagen können neben Holzpellets auch Rapsstrohpellets, Getreidestrohpellets und Pellets aus Landschaftspflegematerial betrieben werden. Mit der Pelletierung können Reststoffe aus der Landwirtschaft und der Landschaftspflege weiterverarbeitet und damit auch energetisch nutzbar gemacht werden. Land- und forstwirtschaftliche Abfälle und Reststoffe werden zu Wertstoffen. Die Zahl der Hersteller von brennstoffvariablen Anlagen steigt jährlich und das Interesse an dieser günstigen Form der Beheizung von Wohnhäusern und Stallanlagen wächst vor allem in den ländlichen Gebieten des Landkreises.
Neben der energetischen Nutzung fördert und unterstützt der Landkreis auch Aktivitäten zur stofflichen Nutzung von Pellets. Besonders im Geflügel- und Legehennenbereich ist man schon seit einigen Jahren auf der Suche nach geeignetem Einstreumaterial. Denn nach Ende der Käfighaltung werden Legehennen in vielen Betrieben einfach auf „blankem Boden“ gehalten, weil alle anderen Einstreumaßnahmen (Sägemehl, Sägespäne, Landstroh, Dinkelspeizen, Erbsen- und Leinstroh) versagt haben. Bei Huftieren wie z.B. Pferden sind Pellets aus Stroh die beste Einstreumaßnahme. In einigen Betrieben sind Pellets schon seit einiger Zeit im Einsatz. Minimaler Arbeitseinsatz, geringer Verbrauch in den Boxen, keine Probleme mit der Entsorgung von erheblichen Mengen an Langstroh, außerordentlich hohe Saugfähigkeit sowie hohe Geruchsbindung zeichnen die Pellets aus. In der Schweinehaltung kann man mit Pellets den Rohfaserbedarf von z.B. Zuchtsauen, Ferkeln usw. decken. Durch die Zufütterung von Heupellets werden Zuchtsauen in der Gruppe ruhiger, weniger stressanfällig und die Aggressivität nimmt erheblich ab. Derzeit wird auch an dem Einsatz von Strohpellets im Pflanzenerdenbereich gearbeitet.
Auch für die Bodenverbesserung können Strohpellets genutzt werden. Eingemischt in Pflanzerden tragen sie zu einer Verbesserung der Erdenstruktur, der Wasserführung und der Bodenlebewesen bei. Strohpellets haben die Eigenschaft, die Tätigkeit von Mikroorganismen zu fördern und damit die Verfügbarkeit von Nährstoffen für Pflanzen zu erleichtern. Strohpellets können bei oberflächigem Ausbringen Pflanzen vor Trockenheit und Schädlingen wie z.B. Schnecken schützen. Aller Voraussicht nach kann man durch den Einsatz von Strohpellets zur Pflanzerdenverbesserung auf die Zugabe von Styroporkugeln zur besseren Wasserversorgung der Pflanzen verzichten. Mit der Stadtgärtnerei Marburg und der Firma Integral wird ein entsprechendes Projekt vor Frühlingsbeginn gemeinsam auf den Weg gebracht.
Mit der Pelletierung kann man Reststoffen aus der Landwirtschaft und der Landschaftspflege hantier- und damit auch energetisch nutzbar machen. Land- und forstwirtschaftliche Abfälle und Reststoffe werden zu Wertstoffen und eröffnen damit auch zusätzliche regionale Wertschöpfungspotenziale.